Wenn Ihnen schon einmal aufgefallen ist, dass Erinnerungen vom selben Tag miteinander verbunden zu sein scheinen, während Ereignisse, die Wochen auseinanderliegen, sich getrennt anfühlen, dann verrät Ihnen eine neue Studie den Grund dafür: Unser Gehirn verknüpft Erinnerungen, die zeitlich nahe beieinander liegen, nicht in den Zellkörpern der Neuronen, sondern in ihren stacheligen Ausläufern, den Dendriten. Diese Entdeckung geht auf Studien an Mäusen zurück, bei denen Forscher die Gedächtnisbildung mithilfe fortschrittlicher Bildgebungsverfahren beobachteten, darunter Miniaturmikroskope, die die Auflösung einzelner Zellen bei lebenden Tieren erfassten. Die Studie zeigt, dass Erinnerungen in dendritischen Kompartimenten gespeichert werden: Wenn eine Erinnerung entsteht, werden die betroffenen Dendriten darauf vorbereitet, neue Informationen zu erfassen, die innerhalb der nächsten Stunden eintreffen, und verknüpfen Erinnerungen, die in zeitlicher Nähe zueinander entstanden sind.
Welche Rolle Dendriten bei der Verknüpfung von Erinnerungen spielen
„Wenn man sich ein Neuron als Computer vorstellt, sind Dendriten wie winzige Computer in seinem Inneren, die jeweils ihre eigenen Berechnungen durchführen“, so die Hauptautorin Megha Sehgal, Assistenzprofessorin für Psychologie an der Ohio State University.“ Diese Entdeckung zeigt, dass unser Gehirn Informationen, die zeitlich nahe beieinander eintreffen, mit demselben dendritischen Ort verknüpfen kann, und erweitert unser Verständnis dafür, wie Erinnerungen organisiert sind.“
Obwohl sich die meisten Lern- und Gedächtnisstudien darauf konzentriert haben, wie eine einzelne Erinnerung im Gehirn entsteht, möchte Sehgals Labor herausfinden, wie wir mehrere Erinnerungen organisieren. „Die Idee ist, dass wir Erinnerungen nicht isoliert bilden. Man bildet keine einzelne Erinnerung. Man nutzt diese Erinnerung, erstellt ein Gerüst aus Erinnerungen und greift dann auf dieses Gerüst zurück, wenn man adaptive Entscheidungen treffen muss“, sagte sie. Neuronen, die wichtigsten Gehirnzellen, sind dafür bekannt, Informationen zu kodieren und weiterzuleiten. Dendriten – die verzweigten Fortsätze, die von Neuronen ausgehen – spielen eine entscheidende Rolle bei der Informationsverarbeitung, indem sie eingehende Informationen empfangen und an den Zellkörper der Neuronen weiterleiten. Aber Dendriten sind nicht nur passive Leitungen – jeder dendritische Zweig kann als unabhängige Recheneinheit fungieren. Obwohl man davon ausgeht, dass Dendriten eine wichtige Rolle bei der Funktion des Gehirns spielen, war bisher unklar, wie sie das Lernen und das Gedächtnis beeinflussen.
Als Mäuse in Experimenten innerhalb kurzer Zeit zwei verschiedenen Umgebungen ausgesetzt wurden, stellte das Team fest, dass die Erinnerungen an diese Räume miteinander verknüpft wurden. Wenn Mäuse in einem dieser Räume einen leichten Schock erlitten, erstarrten die Tiere am Ende in beiden Umgebungen vor Angst und assoziierten den Schock aus dem einen Raum mit dem anderen. Die Studie konzentrierte sich auf den retrosplenialen Cortex (RSC), eine Gehirnregion, die für das räumliche und kontextuelle Gedächtnis von entscheidender Bedeutung ist. Die Forscher beobachteten, dass verknüpfte Erinnerungen durchweg dieselben Gruppen von RSC-Neuronen und ihre dendritischen Äste aktivierten.
Mögliches Potenzial für die Entwicklung von Therapien für gedächtnisbezogene Erkrankungen wie Alzheimer
Das Team verfolgte diese Veränderungen auf dendritischer Ebene, indem es dendritische Dornen, winzige Ausstülpungen an Dendriten, an denen Neuronen kommunizieren, visualisierte. Die Bildung neuer Erinnerungen löste die Hinzufügung von gruppierten dendritischen Dornen aus, ein Prozess, der für die Stärkung der Kommunikation zwischen Neuronen und die Erleichterung des Lernens entscheidend ist. Dendritische Dornfortsatz-Cluster, die nach dem ersten Gedächtnis gebildet wurden, zogen mit größerer Wahrscheinlichkeit neue Dornfortsätze während eines zweiten, zeitlich eng begrenzten Gedächtnisses an, wodurch diese Erfahrungen im Gehirn physisch miteinander verknüpft wurden.
Um die Rolle der Dendriten bei der Verknüpfung von Erinnerungen zu bestätigen, verwendete das Team die Optogenetik, eine Technik, die es Forschern ermöglicht, Neuronen mit Licht zu steuern. Durch die Reaktivierung bestimmter dendritischer Segmente, die während der Gedächtnisbildung aktiv gewesen waren, konnten sie ansonsten nicht miteinander verbundene Erinnerungen verknüpfen, was die Bedeutung dendritischer Veränderungen bei der Gestaltung von Gedächtnisnetzwerken weiter unterstreicht. Die Ergebnisse beleuchten nicht nur eine bisher unbekannte Rolle von Dendriten bei der Verknüpfung von Erinnerungen, sondern eröffnen auch neue Wege zum Verständnis von Gedächtnisstörungen, so Sehgal. Dies könnte Auswirkungen auf die Entwicklung von Therapien für gedächtnisbezogene Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit haben.