Sobald es um Fette geht, klaffen die Meinungen von unabhängigen Experten und anderen, die vielleicht im Dienst der Nahrungsindustrie argumentieren, noch weit auseinander. Aber in einem Punkt nähern sich die beiden Lager immer mehr an: Der politische Krieg gegen Fette in den 70er- und 80er-Jahren war ein Riesenfehler! Und diese Maßnahme, die den Konsumenten vor einer Herzerkrankung schützen sollte, war praktisch nicht durch wissenschaftliche Beweise belegt. Sogar die führende Fachzeitschrift für Gefäßgesundheit «Cardiovascular» stellt ihren Mitgliedern jetzt die Frage: «Ging die Empfehlung, gesättigte Fette zu kappen, zu weit?»
Aktion «fettarm»: Politik und Nahrungsindustrie stellten die Weichen in eine falsche Richtung
Zwischen 1976 und 1983 erreichte der Kreuzzug gegen tierische Fette seinen Höhepunkt. Die Bundesregierung veränderte sogar das Margarinegesetz, denn Butter galt damals als politisch privilegiert – das sollte im Namen der Gesundheit verbessert werden. Alle Pläne gründeten auf einer einfachen Theorie: Fette erhöhen Cholesterine. Cholesterine erhöhen das Herzinfarktrisiko. Eine Fettreduzierung verringert die Herzrisiken. Es war die Geburtsstunde von «Fettarm».
30 Jahre und mehr danach geben Statistiken eine untrügliche Antwort: Genau damals setzte rasant die Entwicklung der Epidemien von Fettsucht und Adipositas ein – und parallel dazu etwas zeitversetzt explodierte die Diabetes-Bedrohung! Bei den unter Dreißigjährigen verdreifachte sich bis 2006 die Zahl der Übergewichtigen von 8 auf 25 Prozent, in der Altersgruppe 30 bis 45 Jahre von 15 auf 35 Prozent, und im Segment 45 bis 64 Jahre von 18 auf 40 Prozent.
Diäten schneiden schlecht ab
Daraus resultieren heute zwei Hauptvorwürfe gegen die Regierung: Als Ersatz für fetthaltige Lebensmittel wurde vor allem zum Verzehr von Kohlenhydraten geraten. Die Verteufelung der Nahrungsfette als Schuldige an Herz-Kreislauf-Erkrankungen lenkte von jenen Risiken ab, die von anderen Lebensmitteln ausgehen – von den Kohlenhydraten, aber nicht nur von ihnen.
Noch klarer wird das Bild, wenn Wissenschaftler der berühmten Harvard Medical School auf die zahllosen Studien mit speziellen Ernährungsformen blicken, beispielsweise die Mittelmeer-Diät, die Paleo-Diät, die Vegan-Diät, die Niedrig-Kohlenhydrate-Diät: Fast jedes Mal schneidet die behördlich geforderte Fettarm-Ernährungsweise schlechter ab.
Falsches Lob für Pflanzenfette
Die Devise «Fettarm» hat vor allem nicht die Rate an Herzerkrankungen reduziert – im Gegenteil: Der Tausch natürlicher tierischer Fette gegen industriell hergestellte Öle pflanzlicher Herkunft in den meisten Fast Food-Gerichten vergrößerte einige Risiken sogar. Vor allem Butter wurde verteufelt, mit dem Hinweis auf vorwiegend gesättigte Fettsäuren. Pflanzliche Fette sind meist reich an ungesättigten Fettsäuren, aber in denaturierter Form. Zum Beispiel aus Pflanzen extrahiert, können sie Reste von schädlichen Fettlösungsmitteln enthalten, und sind daher kritisch einzustufen. Relativ reich an ungesättigten Fettsäuren ist übrigens auch Hühnerfleisch und Fische generell.
Fette: Grundbausteine jeder Zellmembrane
Fette zählen zu den drei Makronährstoffen, da sie wie Eiweiße und Kohlenhydrate in großer Menge verzehrt werden, und uns mit Energie versorgen. Fette sind in jeder tierischen und pflanzlichen Zelle enthalten und werden nach Verzehr in der menschlichen Zelle auch durch Umformung von Kohlenhydraten erzeugt. Alle Fettarten enthalten immer drei Fettsäuren, manche mehr, manche weniger – gesättigte, einfach ungesättigte oder mehrfach ungesättigte. Fettgewebe weist eine besondere Fähigkeit zur Bildung und Speicherung dieser Moleküle auf.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt als optimale Nährwerteverteilung: 30 Prozent Fette, 55 Prozent Kohlenhydrate und 15 Prozent Eiweiße. Dem entsprechen bei einem Energiebedarf von 2.000 Kalorien 66 Gramm Fette, 264 Gramm Kohlenhydrate und 72 Gramm Eiweiße.
Fette sind mit Gesundheitswirkungen verbunden, die völlig in den Hintergrund geraten sind. Dabei handelt es sich um Grundbausteine jeder Zellmembrane, besonders das Gehirngewebe ist fettreich, und sie wirken wie Schutzpolster für innere Organe und Nervenleitungen.
Fettmangel heißt Energiemangel
Fettmangel bedeutet meistens auch eine Unterversorgung an lebensnotwendigen Vitaminen – A, D, E und K – und Mineralstoffen, die in Fett löslich sind oder in ihnen transportiert werden. Die daraus resultierenden Mangelkrankheiten sind nicht tödlich, bereiten aber schweren Gesundheitsproblemen den Boden. Qualitativ gute Fette versorgen den Körper mit den notwendigen, ungesättigten Fettsäuren. 1977 lautete der Hauptvorwurf gegen gesättigte Fette, dass sie das schlechte LDL-Cholesterin im Vergleich zum guten HDL-Cholesterin erhöhen.
Inzwischen wissen mehr Menschen als früher: Die Buchstaben LDL und HDL bezeichnen nicht Fettmoleküle, sondern verschiedene Eiweiße, die beide das identische Cholesterin transportieren – und manche Fette vermehren sogar die gute Eiweiß-Fraktion.
Billigfette in der Kritik
Als problematisch gelten am ehesten mit industriellen Prozessen aus Samen oder Körnern gewonnene Öle, zum Beispiel Maisöl und Sonnenblumenöl, und die Fertiggerichte, die diese Billigfette in großen Mengen enthalten. Besonders kritisch werden künstliche Transfette gesehen. Das sind industriell durch hohe Hitze, Gase und Katalysatoren veränderte Fette für die Lebensmittelindustrie, denn sie werden mit Insulin-Resistenz, Entzündungsprozessen, Fettansammlung und Herzrisiken in Verbindung gebracht.
Verteufelung ohne Verbesserung
Unterm Strich hat diese Verteufelung keine Vorteile gebracht. Denn, so heißt es in einer Stellungnahme wörtlich: «Es gibt mehr als einen Weg, ungesund zu essen.» Am folgenschwersten war der Schwenk zu Nudeln, Pizza & Weißbrot.
Die Ernährungs-Richtlinien der Anti-Aging-Richtlinien warnen immer schon davor, den Verzicht auf gesättigte Fettsäuren durch weißes Mehl und mehr Zucker zu kompensieren, um auf die gewünschte Kalorienmenge zu kommen.