Die ähnlichen Ergebnisse von gleich zwei Studien aus Schweden sind auf den ersten Blick erschreckend. Wissenschaftler anerkennen jedoch, dass die schlechten Nachrichten wenigstens einen weiteren Beitrag zur Beantwortung noch offener Fragen in Bezug auf Alzheimer darstellen können. Eine akute Infektion mit Herpes-Viren ist ein ernster Hinweis darauf, dass betroffenen Personen einige Jahre später ein (im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung) doppelt erhöhtes Alzheimer-Risiko droht.
Angriff auf Nervenzellen
Gegen die relativ großen Viren entwickeln rund 90 Prozent der Menschen Antikörper, was bedeutet, dass sie in fast jedem menschlichen Organismus vorkommen. Die Erstinfektion in frühen Jahren bleibt bei den meisten symptomlos, und auch danach verharren die Viren in einem Ruhezustand. Dieser kann ein Leben lang anhalten.
Etwa vier von zehn Erwachsenen erleben jedoch mindestens einmal eine akute Herpes-Infektion, nachdem diese Erreger aktiv über die Schleimhaut eingedrungen sind. Meistens zeigen sich Bläschen nahe des Mundwinkels, häufig auch im Genitalbereich, stets aber in Regionen mit einer hohen Zahl von Nervenzellen und -enden. Von ihnen werden die Viren aufgenommen und direkt in das Zentrum der jeweiligen Nervenzellen transportiert.
Herpes und Alzheimer haben ähnliche Ursache
Und so könnte auch der Zusammenhang mit Alzheimer zu erklären sein: Voraussetzung ist für beide Erkrankungen (Herpes-Infektion und Demenz) vermutlich ein Zusammenbruch des Immunsystems, der vor allem das Nervensystem schutzlos zurücklässt. Das heißt, die Herpes-Infektion ist nicht an Alzheimer schuld, sondern beide Erkrankungen gehen auf eine ähnliche Ursache zurück.
Herpes-Bläschen durch Stress
Deshalb ist es heute auch kein Rätsel mehr, warum bereits großer psychischer Stress den Ruhezustand der Viren beenden kann: Auch eine solche Belastung des Organismus kann die Abwehrkräfte entscheidend schwächen und Herpes sichtbar machen. Diese Herpes-Alzheimer-Theorie wurde schon 1982 entwickelt, fand damals aber wenig Befürworter. Ein Team der Universität Umea (Schweden) griff die Idee 2009 wieder auf.
Geschwächtes Immunsystem kann auch zu Alzheimer führen
In der Bio-Bank ihrer Uni befanden sich damals Blutproben sowohl von 360 Alzheimer-Patienten, rund zehn Jahre vor Ausbruch der Krankheit abgenommen, als auch Blutproben von 3.432 weiteren Personen, von denen sich nach und nach bis heute bei 245 ebenfalls eine Demenz entwickelt hat.
Aus diesen Daten leiteten die Wissenschaftler erneut Belege für die fast vergessene Vermutung ab: Wenn bei einem Menschen das geschwächte Immunsystem eine Herpes-Infektion ermöglicht, kann später durch den gleichen Mangel an Abwehrkräften auch eine andere Erkrankung der Nervenzellen drohen, nämlich Alzheimer.
Abwehrkräfte stärken
Mit medikamentöser Therapie wird bei einer akuten Infektion versucht, eine weitere Vermehrung der Viren zu unterbinden. Möglicherweise kann es deshalb umgekehrt für Menschen mit Alzheimer sinnvoll sein, ebenfalls mit antiviralen Medikamenten behandelt zu werden. Doch noch sinnvoller ist es, dafür zu sorgen, dass die eigenen Abwehrkräfte niemals wirklich überfordert werden