Orthomolekulare Medizin gilt als die unbekannte Revolution der Lebensverlängerung. Im Fokus stehen Mikronährstoffe, und der richtige Umgang damit. 100 seriöse Untersuchungen und ein doppelter Nobelpreisträger haben sich bereits mit diesem komplexen Forschungsfeld befasst.
Medizinrichtung, die wenig bekannt ist
Die „Richtige-Baustein-Medizin“ wäre keinesfalls eine viel bessere Bezeichnung, aber wenigstens käme sie ohne Griechisch und Latein aus. Kaum eine Therapie verfolgt so einleuchtende Grundsätze wie die orthomolekulare Medizin: Die Verwendung von Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralstoffen zur Vermeidung und Behandlung von Krankheiten, und kaum eine bedeutende Medizinrichtung ist der breiten Öffentlichkeit so unbekannt.
Die Missachtung spaltet sogar die Ärztekammern Deutschlands. Jedes einzelne Bundesland anerkennt die vom Forum Orthomolekulare Medizin angebotene Ausbildung – bis auf eine: Die Berliner Ärztekammer hat in dritter Instanz den Ärzten die Zertifizierung verweigert. Weit über 100 seriös-wissenschaftliche Studien und andere Unterlagen zur Begründung dieser Medizin wurden dabei nicht beurteilt!
Aufwendige Ausbildung
Gemessen daran, ist eine bemerkenswerte Revolution im Gange. Mehrere hundert Ärzte und Heilpraktiker ließen sich bereits in der herausfordernden Kunst des optimalen Umgangs mit Spurenelementen, Aminosäuren, wichtigen Fettsäuren, Vitaminoiden, Mineralstoffen, Antioxidantien, Enzymen und einzelnen Pflanzenstoffen speziell ausbilden.
Die Ausbildung ist aufwendig und die Abschlussprüfung stellt hohe Anforderungen. Klares Ziel: Im Organismus die optimale Menge und Kombination von möglichst allen körpereigenen Substanzen zu erreichen. Ausdrücklich gilt: Es zählen dazu üblicherweise nur Mikronährstoffe, die tatsächlich benötigt werden, und entweder vom Körper selbst gebildet oder durch bewusste Nahrung aufgenommen werden.
Vitalstoffe ermöglichen optimale Verstoffwechslung
Als Wegbereiter und Namensgeber gilt der einzige Mensch, der zweimal mit dem Nobelpreis (für Chemie und Frieden) ausgezeichnet wurde, der Amerikaner Prof. Dr. Linus Pauling. Sein Credo 1968: „Orthomolekulare Medizin ist die Erhaltung guter Gesundheit, und die Behandlung von Krankheiten durch die Veränderung der Konzentration von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise im Körper vorhanden und für die Gesundheit erforderlich sind.“
Die Vorgänge im menschlichen Körper sind zumindest aus Sicht jedes orthomolekularen Mediziners sehr komplexer Natur. Erst verschiedene Vitalstoffe in unterschiedlicher, abgestimmter Dosierung ermöglichen die optimale Verstoffwechslung. Bereits ein einziger Mangel unter den mehr als zwei Dutzend geforderten Mikronährstoffen kann bremsen oder gar blockieren.
Die Ausrichtung sucht die Optimal-Dosierung – statt der üblich vorsichtig empfohlenen Mindestdosierung. Das bedeutet: Einige Substanzen – nicht alle! – werden sehr hoch zugeführt! Einer der Radikalsten auf diesem Gebiet war Linus Pauling. Er schluckte bis zu seinem Tod im hohen Alter täglich eine wirkliche Megadosis Vitamin C.
Die Top-Liste der Orthomolekular-Mikronährstoffe (hochdosiert)
Für drei Ziele bietet die Orthomolekulare Medizin spezielle Konzepte:
- Verhinderung von Mängeln (Prävention). Förderung von Gesundheit, Leistung, Vitalität, gutem Altern.
Empfehlung: Gesunde Ernährung. Optimierung des Lebensstils. Bei langfristig verminderter Zufuhr von Mikronährstoffen: Versuch des Ausgleichs durch Nahrungsergänzung. - Reduzierung von Risiken. Vermeidung oder Hinausschieben von Krankheit.
Empfehlung: Häufig langfristig optimierte Zufuhr zumindest der essentiellen Mikronährstoffe. - Behandlung von Krankheiten.
Empfehlung: Einsatz von Mikronährstoffen als Arzneimittel, auch als individuelle Rezeptur. - Als gesichert gilt der Einfluss auf die Leistungsfähigkeit, auf Krankheiten und sogar auf die Sterberate. Studien belegen präventive und therapeutische Wirkungen bei Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, koronaren Herzkrankheiten und Schlaganfall-Risiken, ebenso bei einzelnen Krebserkrankungen, Rheuma, Osteoporose und Grauem Star.
Wen Aussagen wie „Rückgang der Sterblichkeit um 42 Prozent“ oder „Lebensverlängerung von mindestens sechs Jahren“ auf der Basis von Universitäts-Studien (noch) nicht ansprechen, dem genügt vielleicht die Aussicht auf längere Leistungskraft, Vitalität und Jugendlichkeit.
Interview mit dem Orthomolekular-Mediziner Dr. Udo Böhm über die Rolle der Mikronährstoffe
Warum kämpfen Sie für eine Therapie, die in den klinischen Wörterbüchern nicht einmal erwähnt wird?
Dr. med. Udo Böhm: Präventivmedizin, Raucherentwöhnung, Ernährungsberatung und Stressmanagement sind seit zwei Jahrzehnten meine Schwerpunkte. Vor etwa zehn Jahren stieß ich auf Studien über die Bedeutung der Mikronährstoffe und war ebenso ungläubig wie alle anderen. Damals dachte ich: Das bringt ja ohnedies nichts. Ich habe jedoch meine Kenntnisse der Biochemie und der Physiologie aufgefrischt, wissenschaftliche Ergebnisse studiert und festgestellt: Da ist was dran!
Wer sind die Gegner der orthomolekularen Medizin?
Dr. med. Udo Böhm: Ich hoffe, dass es keine wirklichen Gegner gibt, nur Unwissenheit und Ignoranz. Ich möchte nicht die Pharmaindustrie und andere ablehnende Gruppierungen alle als Feinde bezeichnen. Natürlich kenne ich solche Verschwörungstheorien. Wir haben eher intern Gegner, die uns Probleme bereiten – das sind Herren wie Rath und ähnliche Unternehmer. Sie bezeichnen die orthomolekulare Medizin als „Wundermedizin“ und erwecken den Anschein, damit könne man jedes Problem lösen. Die Ärztekammern, die meinungsbildenden Universitäten berufen sich vor allem auf jene Personen – und das färbt negativ auf uns ab. Diese Herren propagieren etwas, was keine Medizin erfüllen kann. Die orthomolekulare Medizin ist nicht besser oder schlechter als die Kardiologie oder die Chirurgie. Wir haben alle unsere Schwerpunkte – Bereiche, in denen wir gut sind, und wir haben Schwächen. Ich trete ein für eine Medizin, die allen Richtungen den würdigen Platz einräumt.
Warum werden die Defizite vieler moderner Lebensmittel geleugnet?
Dr. med. Udo Böhm: Wir haben in unserer Gesellschaft selten klinisch relevante Unterversorgung an essentiellen Stoffen. Natürlich kommen Mangelzustände bei der Versorgung mit Mikronährstoffen vor, z.B. bei Dialysepatienten oder bei Menschen mit länger dauernder Fehlernährung (z.B. bei Diäten). Es werden in der Fachliteratur in diesem Zusammenhang auch Fälle von Skorbut u.a. Mikronährstoffmangelkrankheiten beschrieben. Aber noch wichtiger ist: Die Menschen unserer Gesellschaft wollen alles optimal haben: Leistungsfähigkeit, Vitalität, Jugendlichkeit, Gesundheit. Das erfordert einen entsprechenden Zustand des Organismus und eben eine ausgewogene optimale Versorgung mit Mikronährstoffen. Auch ein Ferrari stottert, wenn er schlechtes Benzin erhält. Inzwischen wissen wir aus vielen Studien, dass mit Mikronährstoffen auch Krankheiten behandelt werden können. In vielen Fachgebieten, z.B. in der Krebsheilkunde, der Kardiologie oder auch bei psychischen Erkrankungen stützen wir uns auf eine Vielzahl von derartigen Beweisen. Deshalb sage ich: Die orthomolekulare Medizin arbeitet mit natürlichen Substanzen und ist daher eine Naturheilkunde. Ihre Grundsätze sind wissenschaftlich belegt, weshalb sie auch eine Schulmedizin ist.
Woher weiß der orthomolekulare Therapeut die richtige Dosierung?
Dr. med. Udo Böhm: Sie ergibt sich aus dem Behandlungsziel. Soll ein Mangel ausgeglichen werden, oder soll eine Krankheit therapiert werden, müssen jene Substanzen in hoher Dosierung zugeführt werden, die in diesem Fall Erfolg versprechen. In der Prävention und zur Leistungsförderung kann eine niedrige Dosierung ausgleichen, was in der Ernährung fehlt. Das sind Grundsätze. Und im Rahmen einer ausführlichen Krankengeschichte ergeben Laborwerte, klinische Untersuchungen, die Ernährungsgewohnheiten, der Lebensstil und auch Symptome Hinweise auf eine Unterversorgung. Wer Erfahrung besitzt, wird auf eine entsprechende Aussage des Patienten hin (ich fühle mich schlapp; ich habe häufig Infekte) die Versorgung mit Mikronährstoffen überprüfen und die sinnvollen Substanzen ermitteln.
Sie befürchten, dass die meisten Mediziner, Apotheker und Heilpraktiker über Mikronährstoffe kaum Wissen besitzen. Wie soll das verbessert werden? Was kann jeder Einzelne tun – bis es so weit ist?
Dr. med. Udo Böhm: Ich befürchte nicht nur, ich gehe davon aus, dass entsprechendes Wissen fehlt. Allerdings gibt es immer mehr Therapeuten, die sich in Mikronährstoffmedizin ausbilden lassen. Jeder Interessierte kann auch seinen Arzt anregen, sich mit Mikronährstoffen und ihrer Wirkung zu befassen. Wir bilden nach einem strukturierten Curriculum mit Abschlussprüfung aus und wollen erreichen, dass möglichst viele Ärzte, Zahnärzte, Heilpraktiker und Apotheker ein Grundwissen über diese Medizin haben.