Nur ein Idiot überhört, was einem der eigene Körper erzählt. AntiAgingNews im Gespräch mit dem Lyriker Wolf Wondratschek
Sie passen noch in Jeans, die Sie vor dreißig Jahren gekauft haben. Ihre Freunde schwärmen, an Ihnen finde sich kein Gramm Fett – wie schaffen Sie das?
Ich könnte mich nun, ganz im Stil der Dankesreden bei Oscar-Verleihungen, bei meinen Eltern bedanken, die beide bis ins Alter schlank und sportlich waren. Das habe ich wohl geerbt von ihnen. Ich bin natürlich nie einem Verein beigetreten, und betrete auch mein Wiener Fitnessstudio, wo ich mich ein wenig jeden Tag austobe, mit sehr gemischten Gefühlen, aber ich tu’s, regelmäßig.
Was mich betrifft: Ich sollte, denke ich oft, eigentlich längst tot sein bei dem Lebenswandel, den ich mir zugemutet habe; und um mich herum sterben die Freunde ja auch. Ich fühle mich wie ein Überlebender. Das ist das eine. Das andere ist die Arbeit, das Schreiben, das ja, glauben Sie mir, in der Regel Schwerarbeit ist und auch Kraft kostet. Und dann bin ich vom Typ her ein Verbrenner, einer mit sirrenden Nerven. Meine Wachzustände sind strapaziös. Das verbrennt Fett. Aber wahrscheinlich liegt dem allen noch etwas anderes zu Grunde: ein Gefühl für Ästhetik, für Schönheit und Anmut, meine Freude an Eleganz, an der Schönheit von Bewegung. Deshalb meine Bewunderung für Tänzer, für Athleten des Sports, für die großen Boxer und genialen Fußballer.
Sportlichen Aktivitäten räumten Sie immer einen sehr hohen Stellenwert ein – erst als Kanute, dann als Boxer. Ist körperliche Betätigung eine wichtige Anti-Aging-Maßnahme?
Diese ganze Industrie um Fitness, ihre Produkte, Zeitschriften und Ratgeber, der ganze Kult um den jugendlichen Körper, die damit einhergehende Eitelkeit dieser notorisch mit dem Zustand ihrer Körper unzufriedenen Menschen, finde ich schwer erträglich, und ich ignoriere sie, so gut es geht. Mit wie viel Aggression gegen sich selbst sie sich abmühen, um dem Ideal einer trügerischen Vollkommenheit nahe zu kommen.
Sie entdeckten neben der Begeisterung für Kraftsport auch die klassische Musik, das Cello, für sich. Ihre Anti-Aging-Philosophie?
Um das mal richtig zu stellen: ich war nie Boxer, sondern habe etwa sieben Jahre Unterricht im Boxen gehabt, privat, einfach weil ich wissen wollte, wie es funktioniert. Ich wollte es nicht nur theoretisch verstehen, und ich habe ja genug Reportagen darüber geschrieben. Zu Ihrer Frage nun. Wir altern alle, da gibt es kein Anti, allenfalls kann man einen Teil seiner Energie in die eigene Gesundheit investieren, aber das bitte mit Humor, spielerisch, aus Lebensfreude. Wir sollten den liebenswürdigen Wilden, den Eingeborenen in uns tanzen lassen. Und von ihm lernen, wie man die Frauen, die Nacht, die Freude liebt. Sex natürlich inbegriffen.
Sie haben mich nach Sex im Alter gefragt. Das Gedicht gibt eine, wie ich finde, schöne Antwort. Sätze des Glücks. Die beiden sind ja nun weiß Gott nicht mehr die Jüngsten, und doch lieben sie sich, und das bis zum letzten Atemzug.
Sein ganzes Leben lang war er
verrückt nach seiner Frau. Noch
auf dem Sterbebett war er verrückt
nach ihr. Und immer noch, wie jetzt,
wurde sie rot dabei. Und weil ihm
gefiel, was er sah, brachte er
mit dem letzten seiner Atemzüge
ihr Haar noch einmal so
durcheinander,
wie er das, sein ganzes Leben lang,
so gern mit den Händen getan hatte.
Sie haben Ihrem Körper Einiges abverlangt – wilde Jahre auf der Reeperbahn in Hamburg, Beziehungen voller Leidenschaft, in München, Frankfurt Liebling der Gesellschaft. War das irgendwann einmal zu viel?
Und ob! Nur ein Idiot überhört, was einem der eigene Körper erzählt. Jedes Lebensjahrzehnt ändern sich die Geschichten, und immer weniger oft legt man sich mit seinem Körper an. Ich bin meinem so dankbar, dass ich ihm die verdiente Ruhe jetzt gönne. Ich gebe ihm einfach etwas zurück. Er hat ja genug Geduld aufgebracht mit meinen Ausschweifungen. Er war wie ein guter Boxer im Kampf mit meinen Dummheiten; und sich gegen die zu behaupten, kann kein Spaziergang gewesen sein. Aber vorbei. Ich kann ihn nur bewundern, was er alles weggesteckt hat.
Zentraler Themenbereich Ihres schriftstellerischen Schaffens ist immer wieder die Beziehung zwischen Mann und Frau. Welche Bedeutung hat Sex Ihrer Meinung nach für das körperliche und seelische Befinden, besonders ab der Lebensmitte?
Wie immer geht es auch in meinen neuen Gedichten um nichts anderes: was ist das, Liebe – was machen Männer und Frauen falsch miteinander und warum – was sind unsere Irrtümer – und wenn ich Liebe sage, meine ich immer auch die körperliche Liebe, das Begehren. Ohne Liebe, heißt es da einmal, wird niemand etwas verstanden haben vom Ruhm, ein Mensch gewesen zu sein. Aber auch: Und die Liebe war, was sie sein sollte, ein in täglicher Anwendung erprobter Zustand höchster Einfachheit.
In dem Kultfilm „Rossini oder Die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ weist die Darstellung des Dichters biografische Ähnlichkeiten mit Ihnen auf. „Rossini“ spielt in München und ist der Name eines italienischen Restaurants – ein Hinweis auf Ihre kulinarischen Vorlieben?
Ganz recht. Die italienische Küche ist es, die ich besonders schätze; am besten gleich im Lande selbst zu sich genommen. Einfache Küche, roter Landwein, einen Sonnenuntergang, eine Geliebte und das Meer in Reichweite. Allein dafür hätte es sich gelohnt, geboren worden zu sein.
Es wird viel über eine spezielle Anti-Aging-Ernährung philosophiert. Essen Sie heute, in Ihrem 65. Lebensjahr, betont gesünder als in früheren Jahren?
Ich philosophiere gern, aber nicht über Ernährung. Ich ernähre mich auch nicht betont gesund. Es genügt: gesund. Alles andere, was ich eher meinem Beruf als Schriftsteller zuliebe tue, nämlich rauchen und Kaffee trinken bei der Arbeit, ist ungesund genug, aber eben doch auch, muss ich zugeben, ein Vergnügen. Und ein ebensolches Vergnügen ist es, beim Essen vernünftig zu sein. Was leicht getan ist, wenn man, wie ich, allein lebt – und sich in einer kleinen Küche selbst das Abendbrot zubereitet. Nur Gutes, und nie viel davon.
Und ein Letztes dazu. Wenn ich auf einer Speisekarte etwas von Holzfällersteak lese, vergeht mir der Appetit. Und niemand könnte mich zu einem All-you-can-eat-Brunch überreden. Dagegen ist es mir immer völlig natürlich erschienen, wenig zu essen, kleine Portionen. Es ist, als wolle ich nur den gefiederten Vogel füttern in mir, der Flügel hat zu fliegen – und einen Schnabel zum Singen.
Und abschließend eine Frage an den Philosophen: Wenn Sie sich bewusst machen, dass mehr Menschen denn je heutzutage 80, 90 Jahre und älter werden – was denken Sie da?
Ich denke viel lieber und öfter an die, die jung gestorben sind, an Schubert, Mozart, Bellini oder an Brian Jones von den Stones, an Jimi Hendrix oder James Dean. Ich denke an die Toten, an die Heldentat eines kurzen Lebens, an die Rätsel ihrer Kunst, an die Radikalität und Besessenheit dieser Menschen. Sie sind mir nahe wie Brüder. Ich verstehe sie.